Zwangsarbeit im Rhein - Neckar - Raum. Ein Projekt an der IGMH

 


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Ilvesheim

 

Claude Humbert




1944 wohnhaft in Saint-Dié

Claude Humbert bei einem Besuch in Mannheim 2003

Verschleppung aus Saint-Dié

Am 8 November 1944 werden wir früh geweckt, Autos mit Lautsprecher fahren durch die Straßen : « Für einen Arbeitseinsatz müssen sich alle Männer zwischen 16 und 45 sofort mit Lebensmitteln in die Chérin-Kaserne begeben…Wer sich weigert, wird erschossen… ! »
Großer Schrecken, überall in den Straßen Soldaten, unmöglich zu fliehen, und wohin ? Man weiß nicht, wo die Amerikaner genau sind. Wie soll man die Front überqueren ? Der Käfig ist wohl verschlossen, und dann gibt es noch das Risiko von Repressalien. Also begeben sich Hunderte von Männern (900 !) den Tod im Herzen zur Kaserne. Man kommt hinein, aber nicht mehr heraus. Und man weiß nicht, was folgt. Ich finde einige Bekannte, darunter Jean Joliez,  der bei Kirchengemeinde aktiv war, sowie einen Lehrer vom Collège, den ich sehr mochte, Herr Hirtz. Er war während der Vorfälle von 1936 sehr mutig gewesen. Zu Beginn des Nachmittags stellt man uns in Reihen auf, und umrahmt von Soldaten gehen wir Richtung Saales. Die Kolonne zieht sich auseinander, hält von Zeit zu Zeit an und wir biegen nach Lusse ab, wir kommen dort bei einbrechender Dunkelheit, die im November früh kommt, an. Man treibt uns in eine Weberei, deren Maschinen wohlgemerkt stillgelegt sind und auf denen wir uns mehr oder weniger gut einrichten. Denn wir sind mehrere Hundert in einer nicht sehr großen Fabrik.  

 

 

 

Wir warten..., warten erschöpft durch den Marsch und die Ungewissheit. Und plötzlich Trubel, die Wachen treiben uns hinaus, beim Passieren des Tors gibt man uns einen Laib deutsches Brot, dann vorwärts.Die Nacht ist dunkel, es fällt leichter Regen und wir kommen an den Bahnhof. Wir verstehen jetzt, warum « sie » uns nach Lusse gebracht haben. Ein Zug steht entlang des Bahnsteigs, er ist aus Personenwagen zusammengestellt, die alt und in schlechtem Zustand sind. In dem Abteil, wo ich mich mit Jean befinde, ist das Fenster zerbrochen… Alles geht langsam und wir warten weiter, bevor der Zug anfährt. Wir fahren hoch nach Saales, dann hinunter ins Breuschtal.
Bei Morgenanbruch kommen wir in Straßburg an.
Der Zug verlangsamt, aber hält nicht und wir überqueren den Rhein. Wo fahren wir hin ? Wir fahren durch Bahnhöfe, deren Namen wir nicht identifizieren können. Schließlich gegen Mittag erreichen wir eine große Stadt, die offensichtlich mehrmals den Besuch von Bombenflugzeugen hatten, umgestürzte Waggons, verdrehte Schienen, Gebäuderuinen, ein Schauspiel, das wir bisher noch nicht in einem solchen Ausmaß gesehen haben, das uns jedoch das schlimmste fürchten lässt…
Der Zug hält inmitten dieses beunruhigenden Dekors.
Wir sind in Karlsruhe und wir werden lange warten, bis der Zug weiterfährt, was erst nachmittags geschieht.

Ankunft in Mannheim

Nachdem wir endlich Karlsruhe verlassen haben, erreichen wir spät am Tag Mannheim, wo man uns zuerst in Schulen unterbringt. Am folgenden Tag wird er « Sklavenmarkt » sein. Von den verschiedenen Beschäftigern der großen metallverarbeitenden Fabrik bis zu Handwerkern wie Bäcker oder Dachdecker werden entweder einige hundert oder nur zwei oder drei Männer abgeholt, um den so grausamen Mangel an Handarbeitern auszugleichen.

Wahrscheinlich im Kurfürst-Friedrich-Gymnasium, wo dann wohl auch der Sklavenmarkt war.

 

 

 

Zwangsarbeit in Ilvesheim bei den Motorenwerken

Was mich betrifft, so wurde ich mit Jean Joliez und einigen andern zum « Motorenwerk » in Ilvesheim, im Einzugsbereich von Mannheim geschickt. Wir trafen dort auf französische und russische Kriegsgefangene. Und mit zwei von ihnen werde ich an einer Fräsmaschine « arbeiten ». Diese große Werkhalle fertigt einzylindrige Dieselmotoren, die Mutterfirma baut U-Boot-Motoren. Meine Aufgabe ist nicht sehr schwierig. Ich muss eine Kurbelwelle auf die Fräsmaschine legen, sie festmachen, sie an die vor eingestellten Messer führen, sie in Gang setzen, anhalten und alles wieder von vorne. Ich beobachte, dass meine beiden « Mannschaftskollegen » sehr sorgfältig sind und ich werde einige Probleme mit ihnen haben, weil ich extrem langsam bin oder zu oft eine Panne verursache. Das erfordert das Einschreiten des deutschen Vorarbeiters, der in Wahrheit auch nicht sehr dynamisch ist, aber der den Werksleiter äußerst fürchtet, welcher die gelbe Uniform der Partei trägt. Als Konsequenz werde ich in Anbetracht von Inkompetenz und  geringen Arbeitseifers an verschiedene andere Arbeiten gesetzt. Zur großen Befriedigung meiner Arbeitskollegen, die meine « Sabotage » fürchten !

 

 


 

 

 

 

 

 

 

Ehemalige MWM-Hallen in Ilvesheim.
Auf diesem Gelände war wohl auch die Lagerbaracke.

 

 

Gasthaus Krone Ilvesheim

Unser Lager liegt in der Nähe eines kleinen Restaurants, der Krone, dessen Wirt damit beauftragt ist, uns zu verpflegen, mittels der Lebensmittelmarken, die wir bekommen werden und möglicherweise als Ergänzung benützen sollen Denn wir bekommen auch einen Lohn, einen minimalen, aber sehr nützlichen.
Unsere materielle Situation sichert also das Leben, kein Vergleich mit der Lage in den KZs.

 

Gasthaus Krone, Ilvesheim

Ehemalige MWM-Hallen

Lagergebäude und Verpflegung

Unsere kleine Gruppe ist in einem beschädigten Gebäude untergebracht, eine Art Baracke, ein großer Saal mit hölzernen Stockwerkspritschen, ausgestatten mit dem Rest eines Strohsackes und einem Minimum an Bettzeug. Es gibt glücklicherweise einen Ofen und wir verfügen über Kohle, versteht sich, dass die Temperatur in diesem Winter nie extrem wird.

Kontakte zu den Einheimischen

Obwohl wir bewacht werden, haben wir eine gewisse Freiheit, und können tagsüber außerhalb der Arbeit ins Dorf gehen. Das erlaubt mir in die Kirche zu gehen, die Messe zu besuchen, mich mit dem Priester Hans zu treffen, kein Nazi, aber vorsichtig. Der Krone-Wirt, ein aufrechter und großzügiger Germane, ist es nach einiger Beobachtungszeit noch weniger, vor einigen von uns verheimlicht er nicht seine Geringschätzung von Hitler und dass er von der baldigen Niederlage überzeugt ist. Er wird für uns ein riesige Bedeutung haben : Radio London hören und uns « unter dem Siegel der Verschwiegenheit » wichtige Nachrichten weitergeben. Für den Jahreswechsel 44 habe ich nichts Besonderes notiert, außer dass der Krone-Wirt, entschieden ein braver  Kerl, uns eine Art Festessen fabrizierte, was bei den Deutschen eine große Tradition hat.

Verhältnisse unter den Deportierten

Ich habe notiert, dass am 31.Dezember Mannheim bombardiert worden ist, was uns immer in Angst versetzte, weil ein großer Teil der Männer von Saint-Dié sich dort aufhielt.
Das ist wirklich unser Problem : Am Anfang unserer Gefangenschaft wissen wir nicht, was aus unseren Angehörigen geworden ist.
Was uns in Schrecken versetzt, das passiert erst im Dezember : ein Gerücht, dass Saint-Dié niedergebrannt ist, das erhöht unsere Unruhe im Grunde bis zu unserer Befreiung. Unsere Familien werden nichts von uns erfahren und wir nichts von ihnen.

Schnell entstehen Gewohnheiten, die Arbeit, tagsüber oder nachts, dauert an, die Suche nach Essen, nach der Möglichkeit sich zu säubern, die Besorgung des Lagergebäudes, und… die Luftalarme, die uns immer mehr bedrängen.
Diskussionen unter uns über die Gegenwart oder die Zukunft? Unter uns Vogesenleuten ist das Klima ziemlich gespannt wie die Beziehungen, was sich leicht aus der Verschiedenheit in der Gruppe erklärt, was Alter, Herkunftsmilieus betrifft.
Das einzige Gemeinsame ist die Bewältigung des nächsten Tags.

 

 

 


Hygiene, Krankheiten

Die Unterbrechungen sind  verstärkt durch außerordentliche Ereignisse, z.B. wurde eines Tages das Lager und die Insassen desinfiziert. Es ist tatsächlich schnell klar geworden, dass wir alle Parasiten hatten, vor allem angesichts des Zustands unseres Quartiers. Die Deutschen, von Natur sauber, konnten eine solche Situation mit Ansteckungsgefahr nicht ertragen. Eines Morgens kam ein Lastwagen, auf den man uns zusammendrängt und los, irgendwo Richtung Mannheim lädt man uns in einem alten Gebäude ab, wo horizontale Sterilisatoren aufgebaut sind, und : alles ausziehen, die Kleider in die Sterilisatoren, die Männer unter die Dusche. Und im Adamskostüm warten auf das Ende der Sterilisierung. Arme Kleider ! Aber während wir uns da amüsierten, beschäftigte sich eine Mannschaft des Gesundheitsdiensts mit unserm Lager : das glückliche Verschwinden der Strohsäcke.
Sie benutzten ein Desinfektionsmittel, dessen abscheulicher Geruch uns wochenlang am Körper kleben wird. Aber wir werden keine Flöhe mehr haben !Wir hatten in der Tat einen sehr strengen Winter und in unseren Arbeits- und Wohnbedingungen haben wir mehr oder weniger unter der Kälte gelitten, unter Luftzug, unter der Feuchtigkeit und anderem.
Am 7.Dezember bin ich mit einem starken Schmerz auf der linken Gesichtsseite erwacht und hatte ziemlich Fieber. Der Lagerleiter hat akzeptiert, dass ich im Lager bleibe und zum Arzt des Dorfes gehe. Dieser war nur ein junger Kerl und dürfte kaum Nazi gewesen sein, er diagnostizierte eine Entzündung der Nebenhöhle und schrieb mich krank. Er verschrieb mir Bestrahlungen, die seine Helferin machen musste. Sie war sehr jung.
Ins Tagebuch habe ich notiert:
"neugierige Krankenschwester, was will sie?"
Als sich mein Zustand trotz der Pflege nicht verbesserte, entschied der gute Doktor mich nach Heidelberg zu schicken, der nahen Universitätsstadt.
Das wurde eine richtige Expedition, ich habe dort eine Röntgenuntersuchung gehabt, die drei Stunden dauerte wegen Stromausfalls. Ich habe für eine Zeit lang die Arbeit wieder aufnehmen müssen. Am 10. Januar machte ich eine ernste Krise der Entzündung durch und der gute Doktor beschloss, mich erneut nach Heidelberg zu schicken, aber erst am 17. kann ich hin. Nach einer Röntgenaufnahme zögerte der dortige Arzt nicht : kurze Lokalanästhesie, Öffnung der Nebenhöhle durch die Nase mit einer Kanüle die an einem Schlauch angebracht ist und energische Waschung des Nebenhöhlen (ich spüre es, als wäre ich noch dort). Ich vergesse das nicht, denn seitdem haben mich Ausbrüche dieser Entzündung nie verlassen.


Bombenkrieg


Eine andere Unterbrechung : Einsatz im Notdienst in Mannheim, nicht immer angenehm : diese Großstadt ist der Sitz verschiedener Industrien, ein Zentrum der Rüstungsindustrie,  die alliierte Luftwaffe weiß das, tägliche Alarme, die wir in Ilvesheim haben, sind verbunden mit Besuchen der Bomber, die im übrigen die ganze Region behandeln. Die Zerstörungen sind groß und betreffen nicht nur die Fabriken. Für die Zivilbevölkerung haben die Deutschen mit Hilfe der ausländischen Zwangsarbeiter enorme Schutzräume gebaut, Bunker, die auch großen Bomben widerstehen.
Aber man muss sagen, dass es besser ist nicht dort zu sein, wenn sie fallen. Denn die Plätze sind für Frauen und Kinder des Landes reserviert. Wir sind ein oder zwei Mal toleriert worden im Eingang, der für die Ausländer reserviert ist, obwohl wir keine Flöhe mehr haben !
Ein Bombardement schafft eine völlig panische Situation : der ohrenbetäubende Krach der Explosionen, das Zittern der Erde, der Lärm der Flak.

Am Anfang unserer Zeit war ich dabei beim Absturz eines Bombers, der getroffen worden war, die Insassen sprangen in Fallschirmen ab und einer von ihnen ist ganz nahe bei uns gelandet in einem baumreichen Gelände. Er hat sich rasch losgemacht, an einen Baum gelehnt und mit seinem Colt unmittelbar auf die Soldaten gefeuert, die heranrannten, um ihn gefangen zu nehmen. Der Unglückliche wurde getötet, er war ein Farbiger, er wusste, dass die Nazis als Rassisten ihm kein Quartier geben würden.
Dieses Drama ist mir für immer im Gedächtnis geblieben.
Am 1.März fand das größte Bombardement statt, die Mannheim-Ludwigshafen erlebt haben : am späten Vormittag ist Alarm gegeben worden und ohne Unterbrechung kommen Welle auf Welle die Bomber, werfen in einem gigantischen Krachen Tausende von Bomben aller Art ab, Brandbomben, Sprengbomben, Luftminen und das bis ungefähr 16 Uhr. Der Rauch ist so stark, dass es so gut wie Nacht ist. 

 

Wir haben dieses Schauspiel von ziemlicher Entfernung verfolgt, gewaltsam im Fabrikhof festgehalten. Daran werde ich mich auch immer erinnern. Mit ihrer üblichen Hartnäckigkeit setzen uns ein um Gräben zu ziehen und neue Unterstände zu bauen, aber die Situation verbessert sich, da wir mehr und mehr häufige Besuche von amerikanischen Jagdflugzeuge haben, weil deren Flugbasen immer näher kommen.

 


Die letzten Wochen...

Wir gingen in die letzte Phase des Winters und unserer Gefangenschaft, sicher waren die Gefühle geteilt zwischen Ungeduld und Furcht. Mir für mein Teil, kam das mildere Wetter sehr zu Hilfe.
Wir sammelten Erfahrungen aller Art, die für manche sehr berührend waren. So habe ich eines Tages während der Messe in der katholischen Kirche, nachdem wir uns erhoben hatten und als mein Buch wieder an mich genommen hatte, darin eine Lebensmittelkarte.

  Katholische Kirche in Ilvesheim

 

Ich habe einige Zeit später erfahren, dass sie von einer Person hineingelegt worden war, die später noch große Risiken einging, um uns zu helfen.
Alle solche Dinge müssen bekannt sein, denn sie bezeugen tatsächlich die « wirkliche » deutsche Bevölkerung….
Kehren wir zurück zum Anfang März 45, die Stimmung ähnelt mehr und mehr der, die wir schon einmal im Oktober 1944 erlebt haben : die Deutschen nehmen das Heranrücken des  « Feindes » wahr. Wie sie wissen, ist der Gegenangriff in den Ardennen gescheitert, und am 14. März teilt uns der Kronewirt mit, dass die Amerikaner den Rhein überquert haben und die Brücke von Remagen eingenommen haben, gar nicht so weit entfernt. 

Diese Perspektive lässt die Spannung bei unseren Gefängniswärtern wachsen und bringt uns zum Beispiel eine Lagerdurchsuchung durch die Polizei.
 Die Aktivitäten der Fabrik versickern und man redet immer häufiger von einer Verlegung. Unter diesen Umständen finden wir die Person, die mir die Lebensmittelkarte in der Kirche zugesteckt hat. Sie hat sich mit aller Vorsicht dazu bekannt und uns zu verstehen gegeben, dass wir bei Schwierigkeiten uns zu ihr flüchten können, Jean Jolliez und ich.

Die Befreiung

 

Um den 20. herum hört man nahe die Kanonen der Front und die Tieffliegerangriffe vermehren sich, ebenso wie die Flüchtlingszüge nach Osten. Am 24. befehlen uns die Wachleute schnell zu packen und wir müssen auf den Marsch. Glücklicherweise sind wir nur schlecht bewacht, einige Reservisten. Die Kolonne zieht sich auseinander, mischt sich mit Zivilisten, die ins nirgendwo ziehen. Noch nicht weit vom Ort ist der Straßengraben tief genug, wir lassen uns vorsichtig hineinfallen…Jean und ich haben noch Maurice mitgenommen, ein Junge, um den wir uns seit der Ankunft in Ilvesheim ein wenig gekümmert haben.
Wir beobachten, was auf der Straße passiert, wir verlassen unser Versteck und kehren « mutig » auf Umwegen zurück zu Fräulein Hubert. Es herrscht ein derartiges Durcheinander, dass wir keine Schwierigkeiten haben. Wer uns begegnet, ist viel zu sehr mit dem herannahenden Kriegslärm beschäftigt, um sich für uns zu interessieren. Unsere Beschützerin empfängt uns mit Freundlichkeit, ohne ihre Sorgen zu verstecken : Ihr Haus ist schon voll… sie lässt und gleich in den Keller hinunter, wo wir uns sicherheitshalber still verhalten sollen. Wir verbringen die Nacht auf dem Kohlehaufen. Draußen ist ein Kommen und Gehen und – im Haus ebenfalls. Am Morgen wird uns Fräulein Hubert einige Lebensmittel bringen und uns nochmals zur Vorsicht mahnen. Ihr Bruder, ein SS-Offizier, ist auf der Durchreise da!
Der Tag zieht sich hin in ängstlicher Erwartung, man hört sehr klar den Lärm eines ganz nahen Kampfes und außerdem den seltsamen Ton eines Motors, wie eine Mähmaschine, der kommt und geht und uns nervt. Aber keinesfalls können wir die Nase rausstrecken. In der folgenden Nacht, während einer Feuerpause, bringt uns unsere Gastgeberin auf  den Dachboden hinauf, in einen Verschlag,  sie meint es ist besser, dass wir uns dort droben verstecken. Es ist also der 25., ein Sonntag, ist der vierte Geburtstag von Marie Therese, was wird mit ihnen sein dort in Saint-Dié? Wir sind auf dem Dachboden, ohne etwas zu sehen, nur auf die Geräusche von außen angewiesen. Am Tag zeigt uns eine sehr starke Explosion, die das Haus erschüttert, dass eine der Neckarbrücken gesprengt ist…und immer das Kommen und Verschwinden der „Mähmaschine“?? Wir werden die Nacht in einer lähmenden Atmosphäre, das Zusammenleben im Haus wird schwierig. Der Montag ähnelt ein wenig dem vorigen Tag mit noch etwas mehr Spannung und zwei neuen Explosionen. Sie lassen uns denken, dass nun alle Brücke zerstört sind und wir uns auf einer Insel zwischen dem Neckar und seinem Seitenkanals befinden. Die Nacht ist relativ ruhig. Früh am Morgen kommt Fräulein Hubert, um nach uns zu sehen, sie sagt, dass die Hausbesatzung weg ist, ebenso ihr Bruder, und dass sie selbst sich in den Bunker begeben wird, denn sie ist Krankenschwester, und dass wir in den Keller gehen sollen, wenn wir die Sirene hören. Wir entscheiden uns: schnell.; draußen knattern die Maschinengewehr, die Granaten platzen, der Kampf hat begonnen, ganz nah. Als wir im Keller sind, bemerken wir, dass wir in der Eile die Kerzen vergessen haben, die uns Fräulein Hubert gegeben hat. Wir gehen hinauf, um sie zu holen. Im ersten Stock sehen wir den Boden bedeckt von Splittern. Als wir hochschauen, sehen wir dass die Mauer des Dachbodens völlig durchbrochen ist. Der Platz, wo wir einige Augenblicke vorher waren, ist von Löchern durchsiebt. Ein schweres MG hat beim Vorbeifahren alle Obergeschosse der Häuser beschossen, um alle Scharschützen auszuschalten, die dort hätten versteckt sein können. So entdecken wir die militärischen Techniken der Amerikaner... und die fatale Gefahr, in der wir geschwebt hatten. Natürlich sind wir so schnell wie möglich wieder in unserem Keller, mit weichen Knien. Das Warten dauert an, am frühen Nachmittag, entfernen sich die Kampfgeräusche und man hört Stimmen. Freunde oder Feinde ? Wir spitzen die Ohren, und Jean, der gut englisch kann, erkennt diese Sprache, wir öffnen vorsichtig die Kellerluke und entdecken - Soldaten die nicht feldgrau sind.
Wir kommen aus unserem Versteck und werden sofort… noch einmal müssen wir die Hände heben. Jean bemüht sich natürlich zu erklären, dass wir french men sind. Auch wenn sie ihre Gewehre senken, bleiben unsere Befreier vorsichtig. Es kommt ein Offizier, der ein wenig unsere Sprache spricht, dann geht es ein wenig leichter. Wir sagen, dass wir unser Gepäck im Keller gelassen haben und wollen es holen. Einer allein soll das tun, er zeigt auf mich und auf einen Soldaten, der mich begleiten soll. Der holt freundlicher Weise den Colt heraus, hält ihn mir in den Rücken und gibt Zeichen in den Keller runterzugehen. So hole ich unsere Sachen, trotz allem ein wenig unter Stress. Die Amerikaner nehmen uns mit. Wir sind FREI. Mit erstaunten Augen entdecken wir die amerikanische Armee im Einsatz und an erster Stelle die berühmte „Mähmaschine“, deren Geräusch uns so eindrücklich gewesen war: das ist das Piper-Beobachtungsflugzeug, mit hohen Flügeln und einem ultraleichten Motor, ein wichtiges Hilfsmittel für die Bodentruppen, wir werden das schnell demonstriert bekommen. Salven aus automatischen Waffen noch hier und da, unsre Befreier nehmen uns mit in einen Unterstand.
Zu unserer Überraschung beobachten wir, dass praktisch alle Häuser mit weißen Fahnen besteckt sind, die aus allem Möglichen, was die Bewohner zur Hand hatten, fabriziert wurden: Zeichen der Aufgabe!!! In der Schule, wohin man uns geführt hat, finden wir andere Leute aus Saint-.Dié. Wir richten uns im Keller ein, wo wir die Nacht auf Tragbahren verbringen (das ist komfortabler als auf einem Kohlehaufen), aber wir schlafen schlecht und wenig. Ich habe in mein Heft geschrieben: „Wir können unsere Freiheit noch nicht realisieren.“ Wir sind immer noch in der Kampfzone, und am Morgen sehen wir, wie die Amerikaner sich auf die Fortsetzung ihres Vormarsches vorbereiten. Das machen sie mit einer großen Genauigkeit, plötzlich hört man einen Abschuss, das Pfeifen einer Granate und eine Explosion, von ferne erkennen wir, dass ein Soldat verletzt worden ist, gleich ziehen sich alle zurück. Und die plötzliche Stille wird durch das Summen der „Mähmaschine“ unterbrochen, die nach einem Kreis über uns zurückkehrt. Einige Minuten darauf überfliegen uns Granaten und vernichten ein deutsches 88er Geschütz, das die unangenehme Idee hatte, auf das Dorf zu zielen. Nach dieser Episode setzen unsere Befreier ihren Vormarsch fort, offensichtlich ohne groß auf  Widerstand zu stoßen. Erstaunt sehen wir den Kern der Armee mit seinen Jeeps, Dodges, GMCs, Zugmaschinen und andere Motoren, mit den Reservepanzern, den MG-Fahrzeugen usw. Unvorstellbar für uns, die wir noch die Ausrüstung unserer Truppen von 1940 im Kopf haben. Kurz wir befanden uns im Jahr 1945 und waren endlich frei oder fast.
Und auf einmal empfinden wir ein Gefühl der Isolation..., unsere Gefangenenwärter sind verschwunden, die Einwohner haben Angst, die amerikanischen Einheiten sind im Vormarsch, haben nur eine schwache Ordnungskräfte zurückgelassen, die sich wenig um all die „Ausländer“ kümmern, die auftauchen und nicht wissen wohin. Schließlich: die Deutschen zeigen sich vorsichtig, dann herzlich an diesem Karfreitagabend. Wir werden in Betten mit Leintüchern schlafen und wir werden in die Kirche gehen, um dem Himmel zu danken. Die Einwohner werden plötzlich gesprächig gegenüber den Franzosen, dagegen haben sie, vor allem die Frauen, ein entsetzliche Furcht vor den „Schwarzen“.  Die dunklen Amerikaner haben tatsächlich den durch den Nazirassismus den Ruf von Vergewaltigern. Kein Deutscher ist Nazi gewesen, natürlich! Der Beweis: sie stürzen sich auf die Parteilokale, gehen sie zerstören und plündern. Das überrascht uns trotzdem ein wenig bei einem so an Disziplin gewöhnten Volk!
Wir werden uns mit einigen Erinnerungszeichen begnügen, ich für mein Teil mit „Mein Kampf“, mit offizieller Widmung für die Jungvermählten, das Buch war offensichtlich liegengelassen worden. Dieses Dokument ist wirklich ein Stück Geschichte und leider wurde es 1980 zum Teil zerstört bei einem Wasserrohrbruch auf dem Speicher in der rue Bernier in Angers.

Am 31. März benützen wir unsere Freiheit und die sich entfernenden Kampfgeräusche, um unsere „Insel“ zu erkunden: das verlassene Motorenwerk. Schauen die zerstörten Brücken an, die schon durch solche vom Typ „Belley“ ersetzt sind. Vor allem finden wir Fräulein Hubert wieder, die mutige Krankenschwester, der wir so viel verdanken. Wir sind ungeduldig zu erfahren, was in Saint-Dié los ist, wir wollen heim. An Ostern, 1.April, habe ich in mein Tagebuch geschrieben: „Ostermesse, ach ohne Familie, das ist hart!“ Wie es oft ist: wenn man in schwierigen Situationen mit allem Einsatz kämpfen muss, dann wenn die Gefahr vorbei ist,  bleibt man plötzlich leer zurück. So ging es mir. Mein Glaube, und meine Überzeugungen hatten mir geholfen zu wider stehen, meinen beiden Kameraden im Unglück zu helfen und auf einmal die Leere! Aber an diesem Sonntag kam die Heiterkeit schnell zurück: Jean war zum US-Militär gegangen um sich zu erkundigen und hatte erfahren, dass wir am nächsten Tag weggebracht würden. Also gab es ein letztes Treffen in der Krone, das sehr begossen wurde und sehr spät endete (ein Vorgeschmack der Versöhnung?).

 

 

Gasthaus Krone in Weihnachtsdekoration 2005